Aus "Das Labyrinth" von Gerhard Riecker
Aus der Anwendung der dreidimensionalen Geometrie in der Architektur fügen sich Flächen und Sphären ineinander und formen den Übergang vom quadratischen Sockel eines Bauwerkes zu seiner Bedachung, der Kuppel. Während die abendländische Architektur die Kuppel von ihrem Unterbau optisch trennt, stellen morgenländische Bauwerke den fließenden Übergang der Wände in die Wölbung als Gesamtwerk vor: Alles ist eins.
Das früheste bekannte Vorbild, in dem sich diese Anschauung der Welt verkörpert, ist der Palast des Ardeshir in Firuzabad (3. Jahrhundert, sassanidisch).
Aus unbehauenen Steinen gebaut, wuchsen Wand und Kuppel ineinander, indem sich die Ecken des Innenraumes spalten und auskragen und in selbsttragender Funktion zwischen Mauer und Sphäre vermitteln. In den darauffolgenden Epochen sind aus diesem Bauelement viele Variationen als kleinteilige Motive hervorgegangen, die man als Moqarnass bezeichnet und die sich im 11.-13. Jhdt. in der romanischen Kunst, beispielsweise in dem rein islamischen Gewölbe der lglesia del Santo Sepulcro in Torres del Rio (Navarra), aufspüren lassen. Was einmal bauliche Notwendigkeit war, ist zu einem hochartifiziellen Ornament, einem Prunkwerk geworden.
Aus der räumlichen Geometrie der Architektur und ihrer streng geometrisch entwickelten Verfeinerung wachsen schließlich kristalline Formen hervor. Das Licht erscheint zunächst wie in kleine Stücke zerbrochen. In der Tiefe der Kuppel z.u. einem phantastischen Kaleidoskop gefaßt, verlieren sie ihre Körperlichkeit und entziehen sich schwerelos ihrer ErdgebundenheiL
In diesem Sinn verweist ein Morqanass auf Einheit und Komplexität.
Eine von KARL SCHLAMMINGER mit geometrischer Methode betriebene Verwandlung von Grundformen in einen aus sich selbst hervorgegangenen, gesetzmäßig entstandenen, ins Vielfältige gesteigerten, und von innen her aufgebrochenen Formenreichtum eines jetzt höheren Ordnungszustandes darf als »wiedergefundene Geometrie« unserer Zeit verstanden werden.