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KLEPSYDRA

 

In Persien, finden sich in alten Haushalten immer noch dünnwandige Messingschalen mit einem kleinen Loch in der Mitte. Obwohl diese Schalen als Behälter für Allerlei in  Gebrauch sind, wird das kleine Loch weder beachtet noch gibt es eine  Erklärung  dafür.  Freunde,  die ich darauf ansprach, gaben sehr widersprüchliche  Auskünfte.

Der eine meinte, daß das Loch eine mystische Bedeutung habe. Man  dürfe Wasser  nicht als bares Eigentum hinnehmen, man habe die Verpflichtung der Erde ihren Anteil zu­ rückzugeben. Ein anderer behauptete, es sei ein Memento an Hossein, den schiitischen  Heili­ gen, der im Kampf gegen die Sunniten in Kerbala verdurstete.  Ein dritter zitierte  einen Vers  von Hafes mit einer Metapher für Behältnis und  Inhalt.

Ich neigte auch zu der Ansicht, daß das Loch keinem praktischen  Zweck  diene,  bis mir ein älterer Herr eine verblüffende wie auch überzeugende Auskunft  gab. Es sei eine  Scha­ le, die früher der Wasserzuteilung diente. Damals ließ man so eine Schale in einem Brunnen­ haus schwimmen und öffnete die Schleusen. Nachdem die Schale untergegangen war, wurden  die Schleusen wieder geschlossen, und die Wasserverteilung  war  beendet.

Diese schmucklose und naheliegende Erklärung machte  mich neugierig  und ich woll­ te mehr über diese Art der Zeitmessung  wissen.

Mittlerweile hatten mich kundige Freunde aufgeklärt, daß das Prinzip des ein- und auslaufenden Wassers im alten Babylonien und Ägypten bekannt  war. Wasseruhren  waren in der ganzen Alten Welt verbreitet.

Empedokles, der Heilkundige und Philosoph erwähnte die Wasseruhr erstmals. Sie diente zur Bemessung der Redezeit in der Gerichtspraxis. Es ist anzunehmen, daß auch  der  Name Klepsydra,  Wasserdieb, aus dieser frühen Quelle  stammt.

Auch die Chinesen benutzten Wasseruhren, die nach  dem  Einflussprinzip  liefen. Durch eine Vielzahl  übereinander  angeordneter  Gefäße, später durch Einführung  eines   Überlaufs, gelang ihnen eine nahezu exakte Unterteilung der Zeit. Die gestufte Anordnung  der Gefäße wies den Weg zu dem  sich drehenden  Rad.  Das war  der Durchbruch  zur Erfindung  der mechanischen Uhr:

II  Das fehlende Glied in der Geschichte der Zeitmessung",  die Unruh.  (Josef  Needham

 

Soweit das Vorwissen, doch nun galt es entsprechend meiner  gewohnten  Arbeitswei­se als Bildhauer und Handwerker mich am Material: Schale, Loch, Wasser zu erproben, die Erkenntnisse  handgreiflich anzuwenden.

Also nahm ich einen spitzen Stahlstift, schlug mit  einem  Hammer  ein  haarfeines  Loch in die Mitte einer dünnwandigen Silberschale und setzte sie auf einer mit frischem Was­ser bereitgestellten  Schüssel behutsam  ab. -- Ein faszinierender Vorgang nahm  seinen Lauf.

Das Loch der schwimmenden Schale brachte zu meiner Freude einen  Tropfen  zur Welt, kugelrund und kristallklar wie Tau, der im Nu größer wurde und von einem Augenblick zum anderen in eine ebenmäßig flache Wölbung zerfloß. Bis dahin  verlief  der  Durchgang zügig. Das Ansteigen des Wassers jedoch ließ sich viel Zeit, es konnte mit bloßem Auge nicht mehr wahrgenommen werden.

Oberhalb der Öffnung zeichnete sich die feine  Strömung des eindringenden  Wassers als kaum wahrnehmbare Erhebung ab. Hier, und nur hier hinterließ das Wasser die feine Spur einer Regung, ein Zeichen unwiderruflich  verrinnender  Zeit.

Meine Aufmerksamkeit galt insbesondere dem Wasser in der Schale, deshalb über­ raschte es mich, daß das Wasser außerhalb schon bis zum obersten Rand reichte, während die Schale noch nicht gefüllt war. In Wirklichkeit stand das Wasser außen bereits über dem Rand, hatte sich gedehnt, gewölbt und umfaßte als gespannte Membrane das Rund der Schale. Ganz unvermittelt hielt die Membrane dem Druck des Wassers nicht mehr stand, sie zerriß,  das Wasser ergoß sich in die Schale, überschwemmte und versenkte sie. Das unmittelbare Ende machte mich betroffen. Die Zeit war abgelaufen,  die Bewegung  beendet.

 

Dieser erste Versuch, der sich über mehrere Stunden hingezogen hatte, fing mit dem frei geschlagenen Loch in der Schale und einer Schüssel Wasser  an.

Die folgenden Versuche ergaben, daß bestimmbare Faktoren zusammenwirken müs­sen, um den Lauf der Zeit einem vorgegebenen  Maß anzupassen.

Zu achten ist auf das Gewicht der Schale mit dem ihm zugemessenen Loch, in dem  die Oberflächenspannung des Wassers überwunden wird, damit es in die Schale eindringen kann. Es braucht frisches Wasser für den Aufbau der kohäsiven und adhäsiven Kräfte, abge­standenes Wasser mit Zimmertemperatur führt zu Abweichungen. Der Abstand von Schale  zum Wasserbecken muss so angelegt sein, daß sich das Wasser am äußeren Schalenrand auf­ bauen kann um die Schale zur rechten Zeit zu versenken.

In der Abstimmung dieser Gegebenheiten stellen sich faszinierende Zustände von Zeiträumen ein.

Jeder Zustand, einer schöner als der andere, vermittelt seine eigene Qualität. Insbe­sondere blieben mir die Bewegungsänderungen in Erinnerung. Das Einsetzen der Bewegung, das Aufbauen und Auflösen der Form, die so gut wie nicht messbare Langsamkeit, das An­ stauen und Überwinden, Strömung und Stillstand münden unaufhaltsam in den Zeitlauf einer Ästhetik der Stille.

Diese elementaren Vorgänge vereinen das fließen mit der Schwerkraft und der ver­streichenden Zeit.

Klepsydra ist ein Werkstück des Wassers.

 

Jetzt konnte ich die Wasseruhr bauen, die in etwa einer Stunde  abläuft.

 

Die Diabas Wasseruhr

 

Für das Wasserbecken wählte ich einen Stein von dichtem porphyrischen Gefüge. Er kommt als Findling in Lehmgruben vor, wo der im Kern dunkelgrüne Stein, der Diabas ge­nannt wird, eine bräunliche Mineralrinde ansetzt. Die Größe und die Form des Steins sind Vorgaben für die Ausmaße der Kuhle, die der Stein zulässt. Auf die mit Wasser gefüllte Kuh­ le wird die Metallschale mit dem Loch aufgesetzt. Um ungehindert darin zu schwimmen, ist ein etwa zwei Finger breiter Abstand zum Rand des Steins erforderlich. Die Größe des Loches sowie das Gewicht der Schale sind für die Zeitmessung entscheidend. Ihre Dimensionen wie auch das angestrebte Ziel von einer Stunde Laufzeit, sind das Ergebnis empirischer Ermittlungen.