© 2021 Karl Schlamminger. All rights reserved.

Das Labyrinth von Gerhard Riecker

Aus der Anwendung der dreidimensionalen Geometrie in der Architek­tur fügen sich Flächen und Sphären ineinander und formen den Über­ gang vom quadratischen Sockel eines Bauwerkes zu seiner Bedachung, der Kuppel. Während die abendländische Architektur die Kuppel von ihrem Unterbau optisch trennt, stellen morgenländische Bauwerke den fließenden Übergang der Wände in die Wölbung als Gesamtwerk vor: Alles ist eins 38. Das früheste bekannte Vorbild, in dem sich diese Anschauung der Welt verkörpert, ist der Palast des Ardeshir in Firuzabad (3. Jahrhundert, sas­sanidisch).

 

 

 

 

 

Aus unbehauenen Steinen gebaut,  wuchsen  Wand  und Kuppel ineinander, indem sich die Ecken des Innenraumes spalten und auskragen und in selbsttragender Funktion zwischen Mauer und Sphäre vermitteln . In den darauffolgenden Epochen sind aus diesem Bau­element viele Variationen als kleinteilige Motive hervorgegangen, die man als Moqarnass bezeichnet und die sich im 11.-13.Jhdt. in der romanischen Kunst, beispielsweise in dem rein islamischen Gewölbe der lglesia del Santo Sepulcro in Torres del Rio (Navarra), aufspüren lassen. Was einmal bauliche Notwendigkeit war, ist zu einem hochartifiziellen Ornament, einem Prunkwerk geworden. Aus der räumlichen Geometrie der Architektur  und ihrer streng geometrisch entwickelten  Verfeinerung · wachsen schließlich kristalline Formen hervor.

Das Licht erscheint zunächst wie in kleine Stücke zerbrochen. In der Tiefe der Kuppel zu einem phantastischen Kaleidoskop gefaßt, verlieren sie ihre Kör­perlichkeit und entziehen sich schwerelos ihrer Erdgebundenheit. In diesem Sinn verweist ein Morqanass auf die Einheit und  Komplexität der Schöpfung, steht für die Unteilbarkeit des Seins. Eine von KARL SCHLAMMINGER 38 mit geometrischer Methode betriebene Verwandlung von Grundformen in einen aus sich selbst hervorgegangenen, gesetzmäßig entstandenen, ins Vielfältige gesteigerten , und von  innen her aufgebrochenen Formenreichtum eines jetzt höheren Ordnungs­zustandes darf als »wiedergefundene Geometrie« unserer Zeit verstanden werden.