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Abgedruckt in: Abschied von der Maistraße,                                                                  Geburtsh. u. Frauenheilk. 43 (1983) Sonderheft

(...)

 

Lieber Herr Holzmann,

 

es freut mich sehr, dass Sie die verdeckte »Madonna « auf dem Treppenaufgang unseres Hauses entdeckt haben. Ich habe den Eindruck, dass sie sonst noch von niemand bemerkt wurde. Zumindest ist ein Echo nicht bis zu mir vorgedrungen.

 

Die Sache hat ihre Geschichte.

Seit der Errichtung der Klinik befand sich auf der Säule eine.. Plastik. Eine Abbildung finden Sie in dem Faksimile-Druck der ersten Beschreibung der Klinik durch den Architekten Kollmann. Es handelte sich um eine nackte Frau mit ihrem Kind. Der Junge erregte damals durch seine Blöße offensicht­lich ein gewisses Ärgernis. Im Verlauf des Krieges war dann die Plastik plötzlich verschwunden. Ob dieses Verschwinden mit einem Fliegerangriff auf unsere Klinik in einem ursäch­lichen Zusammenhang stand, ist unklar. Jedenfalls blieb der Platz seitdem leer. Ich selbst hatte immer das Empfinden,

dass die leere Säule eigentlich nicht so recht wusste, wofür sie eigentlich da war.

 

Vor längerer Zeit lernte ich bei Freunden einen in München gebürtigen Bildhauer mit dem Namen Schlamminger kennen. Es handelte sich um ein bayerisches »Urviech «. Er hatte in seiner Akademiezeit in München seine spätere Frau kennengelernt, eine Perserin, die hier Kunstgeschichte studierte. Mit ihr zog er dann gemeinsam in den Iran, wo er überaus glücklich wurde. Er fand dort eine enge Beziehung zum Orient und zum Islam und wurde in den folgenden Jahren sozusagen zum Staatskünstler Nr. 1. Viele große Werke sind dort aus

 

seiner Hand - für die breite Öffentlichkeit sichtbar - entstanden. Seine Frau war sehr eng befreundet mit der Kaiserin. Sie baute in Teheran ein großes Museum auf.

Mit der Revolution musste Herr Schlamminger mit seiner Frau das Land zuerst einmal verlassen. Ich fand den früher so überaus schönheitsdurstigen und optimistischen Künstler in völliger Verzweiflung hier in München wieder.

In meiner Ratlosigkeit und in dem Versuch, ihm zumindest einen kleinen Strohhalm zu reichen, an dem er seine Arbeit wieder aufnehmen könne, fragte ich ihn, ob er nicht eine Idee für die leere Säule habe. Und so ist dann nach einigen Gesprächen diese Plastik entstanden.

 

 

Sie haben recht, sie regt zum Nachdenken an. Das sollte sie auch. Formal spielte für die Idee die Geschichte der Plastik auf der Säule eine Rolle. Das, was einmal dort stand und im Schicksal der Zeit verlorenging, bleibt nun verdeckt. Aber den Gedanken sind hier keine Grenzen gesetzt.

 

Mit sehr herzlichen Grüßen

 

Ihr J. Zander

 

Mir scheint das Wesentliche dieser Verhüllten nicht das zu sein, was sie zeigt, sondern das, was sie verbirgt. Für mich verwahrt sie auch die Erinnerung an die gemeinsamen Jahre in der Maistraße. Die Erinnerung ist das einzige Paradies, aus dem man nicht vertrieben werden kann (Jean Paul).

 

Literatur

(1) Döderlein, A., Die neue Uni­ versitäts-Frauenklinik zu München. Monatsschr. Geburtsh. Gynäk. 45 (1917) 299

(2) Kollmann, Th., Der Neubau der Kgl. Universitäts-Frauenklinik und Hebammenschule in München. Z. für Krank11nanstalten 14 (1918) 253

(3) Martin, A., Die Eröffnung des Neubaus der Münchner Universitäts­ Frauenklinik  am 18. Dezember 1916. Monatsschr. Geburtsh.  Gynäk. 45 (1917) 100

(4) Vierneisel-Schlörb, B., Klassische Skulpturen des 5. und 4. Jahrhunderts vor Christus. Medusa » Rondanini«

 

GI. 252. Katalog der Skulpturen

Band II, S. 62. Verlag C. H. Beck

(5) Winckel, F.: Die königliche Un versitäts-Frauenklinik in München und deren Erlebnisse vom 1. Mai

1884 bis 30. April1886. Münch. m

Wschr. 1 (1886) 350

 

Prof. Dr. med. K. Holzmann Frauenklinik im Zentralklinikum Stenglinstraße I

8900 Augsburg